Segen an konfessionslose Jugendliche weitergeben
Ein Angebot der Kirchen ohne Bedingungen
Ein Blick in die Kirchemmitgliedschaftsuntersuchung KMU 61 macht unmissverständlich deutlich, dass die Gruppe der Konfessionslosen wächst. Über 50 Prozent der Menschen in Deutschland gehören keiner der beiden großen Kirchen an. Trotzdem melden Eltern ihre Kinder an konfessionellen Schulen an, ohne selbst Mitglied einer Kirche zu sein. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie sich als Kirchenmitglieder verstehen und einer kirchlichen Sozialisationslogik folgen, zu denen Taufe und Konfirmation selbstverständlich gehören. Welche Rituale gibt es für Jugendliche, die nicht religiös gebunden sind?
Der Bedarf an mild religiösen Passageriten steigt
Es gibt aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus einen Bedarf an einem mild religiösen2 Passageritus für Jugendliche als Alternative zur Konfirmation, Firmung und Jugendweihe. Auch die Zahlen der Konfirmationen gehen zurück. Der Prozentsatz der Getauften, die sich nicht konfirmieren lassen, wächst. Diese Entwicklung hat verschiedene Ursachen. Fakt ist, dass nur noch für eine Minderheit religiöse Praktiken und Inhalte eine zentrale Lebensrelevanz haben. In einigen Brandenburger Schulen gibt es nur noch ein bis zwei Jugendliche in einer Klasse, die an der Konfirmation teilnehmen.
Das erinnert an die Zeit der DDR, in der durch staatlichen Druck die Jugendlichen an der Teilnahme an der Konfirmation gehindert wurden. Aber das ist über 30 Jahre her. Was bedeutet es für die kirchliche Arbeit, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht kirchlich gebunden ist? Sollen die Angebote der Kirche sich nur an die Kirchenmitglieder richten? Wie kann Kirche Kontaktflächen für Menschen schaffen, die eben nicht kirchlich sozialisiert sind, oder sich in kirchlichen Angeboten und der kirchlichen Sprache nicht beheimaten können?
Die religiösen Jugendfeiern sind eine Antwort auf die veränderte gesellschaftliche Situation und versucht, konfessionslosen Jugendlichen ein nicht auf Mitgliedschaft ausgerichtetes Passageritual anzubieten.
Die Geschichte religiöser Jugendfeiern
Der Sammelbegriff „religiöse Jugendfeier“3 ist ein von der evangelischen und der katholischen Kirche verantwortetes Passageritual. Es wurde im Erfurter Dom 1997 erstmalig für Schüler:innen des katholischen Edith-Stein-Gymnasiums, die konfessionell nicht gebunden waren, angeboten. Gegenwärtig gibt es in allen Landeskirchen in Ostdeutschland religiöse Jugendfeiern, die unter ganz verschiedenen Namen firmieren.4 Jedes Jahr kommen neue Angebote dazu. Dieses Angebot richtet sich an Jugendliche ohne kirchliche Bindung und versteht sich als Alternative für konfessionslose Jugendliche zu Jugendweihe, Konfirmation oder Firmung. Vor allem an Schulen in konfessioneller Trägerschaft wurden religiöse Jugendfeiern mit Erfolg angeboten.5
Ostdeutsche Jugendliche haben häufig wenig Kontakt mit Kirche
Auch außerhalb konfessioneller Schulen werden religiöse Jugendfeiern in Trägerschaft von Kirchengemeinden oder Kirchenkreisen angeboten. Im Kirchenkreis Halle/Saale nehmen jährlich rund 800 Jugendliche an einer ökumenisch verantworteten Lebenswendefeier teil. Geschätzt 2.000 Jugendliche nehmen in den ostdeutschen Landeskirchen an einer religiösen Jugendfeier teil.
Entwicklung der Konfessionszugehörigkeit
Auch unter den Jugendlichen ist die größte Gruppe die der Konfessions- losen.6 Die Ursachen für die Mitgliederentwicklung in den Kirchen sind vielfältig. Zu beobachten ist, dass wir als Kirchen den größten Teil der Jugendlichen mit unseren Angeboten nicht erreichen. In der Biographie der meisten ostdeutschen Jugendlichen hat es nie einen Kontakt mit der evangelischen Kirche gegeben. Zu beobachten ist ebenfalls, dass nur ein Teil der getauften Jugendlichen sich für die Konfirmation entscheidet. Alle Bemühungen, die Konfirmation für Konfessionslose zu öffnen, waren nicht erfolgreich. Konfirmation ist durch den Bezug zur Taufe auf Mitgliedschaft ausgerichtet. Das Angebot der Konfirmation bleibt weiterhin das erfolgreichste außerschulische religiöse Bildungsangebot für Jugendliche dieser Altersgruppe. Die religiöse Jugendfeier erweitertet das Angebotsspektrum und antwortet damit auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Die Jugendlichen gestalten bei den Vorbereitungstreffen individuelle Kerzen.
Das Verhältnis der religiösen Jugendfeier zur Konfirmation
Ein Hauptargument gegen die religiöse Jugendfeier ist, dass Kirchen sich mit dem Angebot einer Konfirmation „light“ selbst Konkurrenz machen. Noch 1999 hat der Rat der EKD festgestellt „eine für konfessionslose Jugendliche geöffnete Konfirmandenarbeit erübrigt eine eigenständige ‚kirchliche Jugendfeier‘“.7 Es ist nicht gelungen, die Konfirmation für konfessionslose Jugendliche zu öffnen. Auch wenn die KonfiArbeit heute stärker von Methoden der Jugendarbeit geprägt ist und nicht mehr das Images eines Unterrichtes hat, bleibt sie ein auf Mitgliedschaft ausgerichtetes Angebot.
Nach evangelischem Verständnis fällt bei der Konfirmation mit der Religionsmündigkeit auch das eigene „Ja“ zur Taufe zusammen. „Somit verbindet die Konfirmation Elemente einer auf die Schöpfung und den Schöpfer bezogenen Lebenshaltung mit der auf Jesus Christus und die Gemeinde bezogenen Glaubenshaltung. Ersteres verknüpft sich mit dem Aspekt des Segens, letzteres mit dem Aspekt des Bekenntnisses.“8 Die religiöse Jugend- feier gestaltet den Übergang zum Erwachsenenalter und hat somit eine schöpfungstheologische Ausrichtung. Das „Ja“ zu Christus als wesentlicher Aspekt der Konfirmation ist nicht Aufgabe und Teil des Konzeptes der religiösen Jugendfeiern. Deshalb ist klar, eine Lebenswendefeier ersetzt keine Konfirmation und ist auch keine Konkurrenz zu ihr.
Lebenswendefeier als Marke
Ich werde hier näher auf das Angebot der Lebenswende eingehen, die wir in Berlin 2024 erstmalig etablieren wollen. Die Feier der Lebenswende hat sich als Bezeichnung für religiöse Jugendfeiern an vielen Orten bewährt. In Halle, Erfurt, Magdeburg, Dessau und Köthen wird die Feier der Lebenswende oft in ökumenischer Verantwortung angeboten. Ein ökumenisches Netzwerk bündelt jahrelange Erfahrungen in der Organisation von Lebenswendefeiern. In Berlin wird es 2024 an zwei Standorten eine Lebenwendefeier in ökumenischer Verantwortung geben.
Es erscheint sinnvoll, uns mit unserer religiösen Jugendfeier der „Marke“ Lebenswendefeier anzuschließen und damit auch die Erkennbarkeit dieses Formates für Konfessionslose zu unterstützen und gleichzeitig an den Erfahrungen der Durchführung an anderen Orten zu partizipieren. Es geht bei diesem Angebot nicht um eine konfessionelle Profilie- rung, sondern es ist ein Angebot für Jugendliche zur Gestaltung dieses Übergangs, ohne damit eine potentielle Mitgliedschaft zu beabsichtigen. Aus Halle wissen wir, dass die Lebenswendefeier mit Jugendlichen und deren Familien eine bedeutende Kontaktfläche mit Kirche darstellt. In Zeiten zunehmender Konfessionslosigkeit erscheint uns eine solche Kontaktmöglichkeit sehr sinnvoll.
Die Idee der Lebenswendefeier
Auf dem Weg zum Erwachsenwerden verändert sich vieles im Leben. So wie die Wende beim Segeln eine Richtungsänderung markiert, markiert die Feier der Lebenswende symbolisch eine neue Richtung hin zu Selbstständigkeit und Verantwortung. Die Feier der Lebenswende ist ein offenes Angebot für Jugendliche der 8. Klasse. Dabei stehen die Jugendlichen ganz im Mittelpunkt. Zur Vorbereitung dieser Feier gibt es vier Treffen von je 90 Minuten. Die Lebenswendefeiern haben an allen Standorten eins gemeinsam: Sie werden in einer Kirche angeboten und die Jugendlichen werden gesegnet.
Jeder Mensch ist wertvoll und liebenswert, unabhängig von Aussehen, Herkunft, Religiosität und Weltanschauung
Das Angebot ist in der Regel für Jugendliche der 8. Klassen offen. Begleitet werden die Gruppen von erwachsenen Christen:innen aus Schulen und Kirchengemeinden. Diese sind beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende der evangelischen und katholischen Kirche. Als Christ:innen sind wir davon überzeugt, dass jeder Mensch wertvoll und liebenswert ist, unabhängig vom Aussehen, der Herkunft, der Religiosität und der Weltanschauung. Wir alle gehören zur großen Menschheitsfamilie. Wir sind davon überzeugt, dass Nächstenliebe die Welt friedlicher macht und Teilen die Welt gerechter. Die Tatsache, dass Jugendliche keiner Kirche angehören, wird von uns respektiert und ernst genommen.
Die Lebenswendefeier ist für viele Jugendliche ohne Konfession der erste Berührpunkt mit der Kirche.
Die Feier
Die Feier der Lebenswende ist eine Feier, die den einzelnen Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt. Es ist daher das Anliegen der Lebenswendefeier, dass das persönliche Leben und die je eigene Lebenswende Ausdruck in der Feier finden. Uns ist es wichtig, dass die Jugendlichen die Feier mit ihren Ideen mitgestalten können. Es geht ja immerhin auch um ihr Leben. Dazu dienen auch die Vorbereitungstreffen. Die Feier findet in einer Kirche statt, bei der den Jugendlichen auch der Segen Gottes zugesprochen wird. Der Segen Gottes bedeutet „Gutsprechen“. Wir möchten jungen Leuten in der besonderen Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein eine hilfreiche Begleitung anbieten, damit sie mit ihrem eigenen Anliegen vorkommen und Wertschätzung erfahren.
Dieser schematische Ablauf bietet einen Eindruck vom Grundgerüst der Feier:
- Einzug und Begrüßung
- Vorstellung der Jugendlichen
- Musik
- Ritual: Übergang von der Kindheit zur Jugend
- Musik
- Geschichte und Ansprache
- Musik
- Wünsche der Eltern
- Glückwünsche der Eltern
- Musik
- Segen für die Jugendlichen
- Auszug
Während der Feier der Lebenswende sitzen die Jugendlichen gut sichtbar vorn in der Kirche.
Vorbereitende Treffen
In den Monaten vor der Feier der Lebenswende finden vier Vorbereitungstreffen statt. Wir bereiten gemeinsam die Feier vor und beschäftigen uns mit Themen, die die Jugendlichen bewegen. Die Treffen dauern in der Regel eineinhalb Stunden. Inhaltlich geht es in den Gruppentreffen um die Fragen und Anliegen der jungen Leute selbst:
- Wie sehe ich mein Leben, meine Mitmenschen und die Welt?
- Mit welchen Wünschen, Träumen und Hoffnungen schaue ich in die Zukunft?
- Wovor habe ich Angst?
- Wer und was hilft mir bei der Suche nach Antworten auf meine Fragen?
- Aus welchen Quellen kann ich Kraft und Hoffnung schöpfen?
- Wie lebe ich mein Leben verantwortlich und welche Einstellungen helfen mir dabei?
Wie religiöse Jugendfeiern sich in Zukunft entwickeln werden, lässt sich momentan noch nicht sagen. Dass es dafür einen großen Bedarf gibt, bestätigen alle Akteure.
Jeremias Treu ist Studienleiter im Bereich Konfi-Arbeit im Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
Du hast Interesse am Thema „Kirche der Zukunft und Zukunft der Kirche“?
Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 2/24 fancy, churchy, cringe.
Titelfoto: Übergabe der Urkunden. (alle Fotos: Rudolf Wernicke)
Literatur
- 1 https://kmu.ekd.de/
- 2 Kristian Fechtner, Mild religiöse, Stuttgart 2023
- 3 Siehe zum Begriff: Emilia Handke, Religiöse Jugendfeiern „Zwischen Kirche und anderer Welt“, Leipzig 2016
- 4 Wunsch- und Segensfeier – Halberstadt; Feier der Lebenswende in Halle, Magdeburg, Dessau, Köthen, Berlin; Juventusfest in CJD Droysig; Wegweiser-Projekt in Schwerin und Rostock; Take Off-Fest am Bernardinum in Fürstenwalde;
- 5 z.B. in der EKBO an der evangelischen Schule in Neuruppin und Cottbus und am katholischen Bernhardinum in Fürstenwalde
- 6 Ein Fest des Lebens, Praxishilfe zur Gestaltung von Segensfeiern, herausgegeben von der EVLKS, 2018
- 7 https://www.ekd.de/jugendliche_begleiten_1999. html
- 8 https://www.lebenswendefeier.de/berlin/
Weiterführende Links
Zwischen Himmel und Halle – Folge 7 „Lebenswendefeiern“ (TV Halle)
„Segen bedeutet für mich… – Ein Film zur Lebenswendefeier“
(EJ Mitteldeutschland)
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