Grenzen des demokratischen Spektrums
Systematik des Extremismus
Wann verlassen Aussagen sowie ideologische Elemente die Ränder des demokratischen Spektrums und ab wann beginnt ein extremistisches Weltbild? Die Bundesrepublik Deutschland gründet sich auf den Werten des Grundgesetzes. Deswegen charakterisieren den demokratischen Rechtsstaat fundamentale Eigenschaften wie freie Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit oder Schutzmechanismen gegen Diskriminierung. Diese demokratischen Werte werden von einem Großteil der deutschen Bevölkerung geteilt und bei Wahlen offenkundig bestätigt.
Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Nationalismus: Synonyme für die gleiche Sache?
Gleichzeitig gibt es Akteure in Deutschland, welche die demokratische Grundordnung offen ablehnen und sichtbar bekämpfen. Mit Blick auf diese Herausforderungen ergeben sich auch Schwierigkeiten bei der Analyse. Erstens werden in der Beschreibung dieses Themenkomplexes oftmals Begriffe wie Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus oder Nationalismus synonym verwendet, um ein antidemokratisches Weltbild zu beschreiben. Zweitens existieren neben diesen offenkundigen demokratiefeindlichen Phänomenen auch schwerer greifbarere Formen der demokratischen Ablehnung. Diese Akteure agieren (bewusst) in einem Graubereich, der nicht eindeutig als demokratie- oder verfassungsfeindlich eingestuft werden kann. Drittens erfolgt in manchen Fällen eine inkorrekte Verortung von demokratischen Akteuren im rechtsextremen Raum. Werden bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus beispielsweise Parteien der demokratischen Rechten ausgeschlossen, kann sich dies hinderlich auf den Schutz der Demokratie auswirken.
Rechte Begriffssystematik
Dieser Beitrag soll in einem ersten Schritt sowohl die verschiedenen Begriffe trennend systematisieren als auch deren ideologische Fundamente skizzieren, um in einem zweiten Schritt eine Orientierungshilfe für den praktischen Umgang zu präsentieren. Dabei soll sich auf jene Begriffe konzentriert werden, die im medialen und politischen Diskurs regelmäßig Verwendung finden.
Rechtsextremismus
Rechtsextremismus beschreibt eine politische Strömung, bei welcher die Gleichwertigkeit aller Menschen abgelehnt wird. Vielmehr erfolgt eine Hierarchisierung von Individuen und Gruppen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation oder Ethnie. Der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf „rassischer“ Grundlage sowie ein übersteuerter Nationalismus, nach welchem andere Nationen als minderwertig betrachtet werden, ist somit das ideologische Fundament des Rechtsextremismus.1 Aus diesem Grund erfolgt auch eine gruppenbezogene Einteilung in „Wir“ und „Die“, was die Förderung von Feindbildern beschleunigt und sich beispielsweise in Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Sexismus ausdrückt. Auch wenn es feste ideologische Konstanten innerhalb des Rechtsextremismus gibt, wandelt sich die Szene und Veränderungen sind grundsätzlich möglich: Mit dem Blick auf die letzten Jahrzehnte fällt auf, dass Holocaustleugnung oder die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus in der aktuellen rechtsextremistischen Szene deutlich seltener vorkommen, aber nicht ausgeschlossen sind. Ein gleichbleibendes und weiterhin zentrales Element ist hingegen die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung von politischen Interessen.
Rechtsradikalismus
Rechtsradikalismus wird häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet. Politisch radikale Einstellungen, ganz unabhängig von deren ideologischer Ausrichtung, versuchen, echte oder vermeintliche Probleme an der Wurzel (lat. radix, Ursprung von „radikal“) zu packen und die bestehenden Verhältnisse grundlegend neu zu gestalten.2 Das Bundesamt für Verfassungsschutz trennt Radikalismus von Extremismus wie folgt ab: „Bei ‚Radikalismus‘ handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise […] Im Unterschied zum ‚Extremismus‘‚ sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden.“3
Rechtspopulismus
Rechtspopulismus ist, vor allem im Vergleich zu den beiden vorherigen Wörtern, ein Begriff, dessen definitorische Elemente deutlich breiter auseinandergehen – je nachdem welche:r Wissenschaftler:in befragt wird. Zentraler Bestandteil ist jedoch, dass Rechtspopulist:innen sich als Stimme des Volkes inszenieren und gleichzeitig das „Establishment“ dämonisieren.4
Begriffe immer akkurat verwenden: Nicht jede radikale Idee ist gleich extremistisch
Damit soll suggeriert werden, dass Minderheitsmeinungen vermeintlich
die Mehrheit widerspiegeln. Die bewusst gewählte und zu großen Teilen nicht gerechtfertigte Opferrolle steht der proklamierten Täterrolle, die durch die eigene Regierung bzw. „die da oben“ symbolisiert wird, gegenüber. Die Abgrenzung zum Rechtsextremismus ist dabei nicht trennscharf, sondern eher fließend. Rechtspopulistische Akteur:innen bewegen sich bewusst in einer Grauzone, vermeiden konkrete rassistische, antisemitische oder nationalistische Aussagen und distanzieren sich zwar vom Rechtsextremismus, vertreten in Teilen aber dessen Ansichten.
Demokratische Rechte
Die demokratische Rechte gliedert sich nicht in die Reihe jener politischen Ausrichtungen ein, die außerhalb unserer demokratischen Werte stehen. Sie ist in Parlamenten durch demokratisch eingestellte Parteien vertreten. Ähnlich wie die demokratische Linke steht sie hinter dem Grundgesetz und achtet die Regeln des Rechtsstaates. In Abgrenzung zum Rechtsextremismus baut sich das ideologische Fundament bei der demokratischen Rechten nicht auf antidemokratischen Elementen auf.5
Ideologische Komponenten
Nach der Systematisierung dieser vier Begriffe sollen im Folgenden zentrale ideologische Komponenten erklärt werden. Dabei lässt sich eindeutig konstatieren, dass Rassismus, Antisemitismus sowie Nationalismus den politischen Strömungen außerhalb des demokratischen Spektrums zugeordnet werden müssen, wohingegen Patriotismus ein Wertekonstrukt ist, was unter anderem innerhalb der demokratischen Rechten verankert ist.
Rassismus
Rassismus klassifiziert sowohl Individuen als auch Gruppen nach vermeintlichen ethnischen und konstruierten biologischen Kriterien und mündet in einer Hierarchisierung von Menschen in höher- und minderwertig.6 Damit einher gehen bestimmte positive oder negative Eigenschaften, die einer bestimmten Gruppe oder ganzen Nation zugeordnet werden und unabhängig von deren individuellen Entwicklung unveränderlich fortbestehen.
Antisemitismus
Antisemitismus wird von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“ definiert. „Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“7 Zwar gibt es unterschiedliche ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus, der gemeinsame Nenner zeichnet sich jedoch durch die Anwendung von negativen Stereotypen in Wort und Tat gegen jüdische Personen oder Gruppen aus. Im rechtsextremistischen Antisemitismus finden sich sowohl in klassischen rechtsextremistischen Verschwörungserzählungen als auch in neuen Verschwörungsnarrativen – wie beispielsweise der Q-Anon Verschwörung – antisemitische Elemente.
Nationalismus
Nationalismus beschreibt die Fixierung auf die Nationen mit gleichzeitiger Höherschätzung der eigenen bzw. Abwertung anderer Nationen. Damit einher wird der Begriff oftmals ethnisch verstanden, weswegen „Deutschsein“ an die Nation geknüpft ist und zugezogene oder eingebürgerte Menschen im Verständnis von Rechtsextremist:innen nicht vollumfänglich deutsch sein können.8 Oftmals vermischen sich Nationalismus und Rassismus, weswegen die entsprechenden Abwertungen von Nationen mit rassistischen Stereotypen einhergehen.
Patriotismus
Patriotismus stellt „eine besondere Wertschätzung der Traditionen, der kulturellen Werte und historischen Errungenschaften und Leistungen des eigenen Volkes“9 dar. Die Unterscheidung zum Nationalismus besteht darin, dass entsprechende Bezugspunkte beim Patriotismus stets positiv assoziiert werden, wohingegen sie beim Nationalismus negativ behaftet sind.
Eine eindeutige Lokalisierung innerhalb oder außerhalb des demokratischen Spektrums von Sprache oder Aktionen mit Hilfe der skizzierten Begriffe ist in einigen Fällen – wie beispielsweise bei der demokratischen Rechten oder dem Rechtsextremismus – möglich. Deutlich schwieriger gestaltet es sich hingegen, wenn eine fließende Abgrenzung zu beiden Seiten erkennbar ist. Dies erklärt sich durch zwei wesentliche Faktoren: Der Vielfalt des Extremismus und der Verwässerung der Kommunikation.
Der erste Faktor beschreibt eine große und wachsende Pluralität der Akteure im rechtspopulistischen, rechtsradikalen und rechtsextremistischen Spektrum. Individuen und Gruppen ordnen sich nicht bewusst einer Strömung zu, sondern weisen unterschiedliche ideologische Merkmale auf, wandeln sich in ihrer politischen Ausrichtung und kooperieren mit weniger oder stärker extremistischen Akteuren.
Vielfalt des Extremismus und Verwässerung der Kommunikation
Der zweite Aspekt lässt sich durch eine Anpassung der Kommunikationsstrategie erkennen, da offen rechtsextremistische Äußerungen zunehmend vermieden werden. Holocaustleugnung, ein direkter Aufruf zur Gewalt oder ganz klarer Rassismus ist nicht mehr primärer Bestandteil des Kalküles des Rechtsextremismus.
Es wird subtiler und teilweise mit Codes kommuniziert, damit bewusst ein friedlicherer und demokratienäherer Eindruck entsteht. Dadurch wird versucht, von den Rändern weiter in die politische Mitte vorzudringen.
Praktische Orientierungshilfe
Drei praktische Orientierungshilfen lassen sich durch die dargelegte Systematisierung ableiten.
- Erstens sollten die skizzierten Begriffe akkurat verwendet werden. Nicht jede radikale Idee, so befremdlich sie auch erscheinen mag, ist automatisch extremistisch. Eine fälschliche Verwendung des Extremismusbegriffes führt zu einer faktischen Abschwächung von tatsächlichem Extremismus.
- Zweitens darf man sich nicht ausschließlich am Rechtsextremismus aus früheren Jahrzehnten orientieren, sondern muss aktuelle Entwicklungen in den Bereichen der Sprache, Ideologie und Aktionsformen beachten. Neue Kommunikationstaktiken und codierte Sprache erlauben es rechtsextremistische Äußerungen subtiler auszudrücken – eine klare Benennung der Problematik ist dennoch zwingend notwendig.
- Drittens müssen demokratische Akteure auch aktiv Begriffe besetzen und sich dem Diskurs stellen. Die Diskussion um den Begriff Patriotismus steht sinnbildlich dafür: Das Zeigen der Deutschlandflagge, das Stolzsein auf die kulturell vielfältigen Regionen der Bundesrepublik, auf Dialekte und lokale traditionelle Bräuche oder eine Begeisterung für die deutsche Kulinarik sind positiv konnotierte Elemente, die ohne eine Abwertung anderer Aspekte gelebt werden können.
Demokrat:innen müssen sich dieser Auseinandersetzung stellen, ansonsten erfolgt eine Verschiebung der Deutungshoheit zu Gunsten von Demokratiefeinden und der Begriff des Patriotismus wird vermehrt durch Rechtsextremist:innen besetzt und ist zunehmend negativ konnotiert
Felix Neumann ist der zuständige Referent für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 1/25 Faschismus
Titelbild: Demokratie-Scrabble (Foto: Arnica Mühlendyck)
Literatur
- 1 Goertz, Stefan (2022): Innere Sicherheit – von A bis Z. Die wichtigsten Begriffe für Studium und Ausbildung, S. 360ff.
- 2 Goertz, Stefan (2022): Innere Sicherheit – von A bis Z. Die wichtigsten Begriffe für Studium und Ausbildung, S. 357.
- 3 Bundesamt für Verfassungsschutz: Glossar www.verfassungsschutz.de/DE/service/glossar/Functions/glossar.html?cms_lv2=678586 (19.07.2024).
- 4 Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung (Juni 2021): Rechtspopulismus www.politische-bildung-brandenburg.de/lexikon/rechtspopulismus (25.07.2024).
- 5 Rudolf van Hüllen (ohne Jahr): Wie unterscheiden sich Rechtsextremisten von rechten Demokraten? www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/wie-unterscheiden-sich-rechtsextremisten-von-rechten-demokraten (19.07.2024).
- 6 Bundesamt für Verfassungsschutz: Rassismus www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glossareintraege/DE/R/rassismus.html (25.07.2024).
- 7 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus: IHRA-Definition. www.antisemitismusbeauftragter.de/Webs/BAS/DE/bekaempfung-antisemitismus/ihra-definition/ihra-definition-node.html (15.09.2024).
- 8 Rudolf van Hüllen (ohne Jahr): Was ist Nationalismus? www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/was-ist-nationalismus (19.07.2024).
- 9 Bundeszentrale für Politische Bildung: Patriotismus www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17999/patriotismus/ (19.07.2024).
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