Gedenkstättenarbeit mit KonfirmandInnen
Stefanie Stange

Gedenkstättenarbeit mit KonfirmandInnen

Gedenkstättenarbeit mit KonfirmandInnen

Beispiel einer Bildungsreise nach Terezín/Theresienstadt (Tschechien)

Gedenkstätten sind ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur. Im Allgemeinen bezeichnet der Begriff einen Erinnerungsort von historischer Bedeutung. Manchmal schließen sich daran Erinnerungs- oder Gedenktafeln, Museen oder parkähnliche Anlagen an. Funktional nutzen Menschen Gedenkstätten zum (gemeinsamen) Ge-denken, zum Bedenken oder für Begegnung und Austausch. Der Umgang mit Erinnerungskultur ist, besonders erlebbar im internationalen Raum, unterschiedlich. Verschiedene Narrative, historische und kulturelle Hintergründe spielen eine Rolle, aber auch finanzielle Spielräume oder Eigentumsfragen.

Was ist Gedenkstättenarbeit?

Ein Ziel von Gedenkstättenarbeit sollte die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins sein, um darauf aufbauend in einem lebenslang andauernden Prozess Haltung und Handlungsmöglichkeiten entwickeln zu können. 

Aus sich heraus bewirken Gedenkorte nichts, sie müssen gewissermaßen ‚zum Sprechen gebracht werden‘: Ge-rahmt von der Vermittlung des historischen Kontextes werden ehemalige (und aktuelle) Funktionen erschlossen und die Geschichten der Menschen, welche darin lebten, erzählt. Damit ergeben sich emotionale Anknüpfungspunkte für die BesucherInnen. Am Ende darf der Gedenkstättenbesuch jedoch nicht in der historischen und emotionalen Auseinandersetzung verbleiben. Es bedarf ausführlicher, den Prozess begleitender, Reflexionen und Nacharbeit. Ein Balanceakt zwischen Herausforderung und Überforderung, welcher den pädagogisch Handelnden bewusst sein muss.

Die Einhaltung des Beutelsbacher Konsens mit u.a. Überwältigungsverbot und Kontroversitätsgebot ist für die Gedenkstättenarbeit grundlegende Voraussetzung. Weiterhin dürfen überlieferte Berichte nicht zusätzlich ausgeschmückt werden (Geschichtsverfälschung).

Gedenkstättenarbeit mit Jugendlichen und KonfirmandInnen – Chancen und Herausforderungen

Die Herausforderung an sich: Die Konfis, allesamt gerade Achtklässler-Innen geworden, sind eigentlich ‚zu jung‘. Dies begründet sich aus verschiedenen Perspektiven:

1. Im Sächsischen Lehrplan für den Geschichtsunterricht ist die NS-Zeit je nach Schulart am Ende der Klassenstufe 8 oder in der Klassenstufe 9 verankert. Es ist also im Vorfeld der Gedenkstättenfahrt zwingend notwendig, historische Rahmendaten zu vermitteln.

2. Unter Umständen sind den Konfis Begriffe wie Shoah oder Holocaust aus dem Religionsunterricht bekannt. Vielleicht wurde im Deutschunterricht „Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen. An sich bleibt aber vieles abstrakt. Eine Schülerin der siebenten Klasse beschrieb es so: 

„Es ist, als wenn ihr Erwachsenen uns eine riesige schwarze Kiste ins Klassenzimmer stellt und sagt: ‚Da ist das Schlimmste drin, was Menschen tun können‘, und niemand öffnet diese Kiste.“ 

Diese Bemerkung drückt viel aus: auf der einen Seite den Wunsch nach Sachklärung und Verstehen-wollen (im Verlauf gepaart mit Überforderung) und auf der anderen Seite das Unvermögen der Erwachsenen, dem Alter der Teilnehmenden entsprechend für Unaussprechliches eine verständliche Sprache zu finden.

3. Entwicklungspsychologisch stehen die Konfis ganz am Anfang der Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins und der Ausbildung eines Verständnisses für die individuelle Einbettung in ein großes Ganzes. Gedenkstättenbesuche werden erlebt als in der Geschichte verortet – die Gedenkstätte zum Sprechen zu bringen, d.h. hinter die Mauern zu blicken, kann ein Teilziel des Besuches sein und Grundlagen schaffen für spätere Entwicklungen.

4. Mit der Zunahme rechtsextremer Einstellungen gewinnt die Thematik „Gedenkstättenbesuch“ an Relevanz und ist vielschichtig zu betrachten. Der Besuch einer Gedenkstätte der NS-Zwangsherrschaft allein kann kaum ein Umdenken bewirken, vielleicht aber sensibilisieren. In jedem Fall muss der Besuch freiwillig bleiben. Ein weiteres Feld tut sich auf mit der Fragestellung „Wer nutzt was für welche Zwecke?“. Hier liegt eine Gefahr. Es gilt, hellsichtig zu sein, mit Jugendlichen im Gespräch zu bleiben, aber auch den Wert des Gedenkstättenbesuches nicht zu überhöhen.

Politische Bildung … in der Arbeit mit KonfirmandInnen?

Als Kirche haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung. Aus dieser heraus sollten wir uns auch in die Förderung eines demokratischen Miteinanders und in (politischer) Bildung engagieren. Ein Baustein dafür kann im Konfialter gelegt werden. Für die Jugendverbandsarbeit ist die Begründung klar: Die Befähigung Jugendlicher zur Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement sind u.a. im SGB VIII; §11 fest verankert und inhaltlich gut umsetzbar.

In dem nachfolgend beschriebenen Beispiel kamen PfarrerInnen aus einem sächsischen Landkreis auf das Ev.-Luth. Landesjugendpfarramt Sachsen zu und baten ‚um eine Angebot‘ für Konfis, konkret die Konzeptionierung und Betreuung einer Fahrt ins ehemalige Sammel- und Durchgangslager sowie Altersghetto Theresienstadt/Terezín in Tschechien. Die Argumentationen: die Jugendlichen sind einerseits „zu jung für klassische Gedenkstättenarbeit“, andererseits sind sie JETZT da und es gibt einen deutlichen (Bildungs)bedarf. Gemeinsam überlegten wir: wieviel können wir den Jugendlichen zutrauen? Medial haben die Jugendlichen Zugang zu vielen Abgründen menschlichen Zusammenlebens. Aber welchen Rahmen braucht es für einen verantwortungsbewussten Bildungsprozess am Lernort Terezín? Die „Kleine Festung“/ehemaliges Gestapo-Gefängnis halten wir für AchtklässlerInnen emotional für zu mächtig. Die „Große Festung“, d.h. das Gebiet des ehemaligen Sammel- und Durchgangslagers scheint geeigneter. Doch die Kleinstadt in Böhmen/Tschechien offenbart ihre Geschichte nicht auf den ersten Blick. Bestenfalls irritiert sie mit ihren schachbrettartig angelegten Straßenzüge mit vielen ehemaligen Kasernen und kleinen Häuschen, angeordnet um einen riesigen Marktplatz. Alles umgeben von mehreren Verteidigungswällen, angelegt als Garnisonsstadt. Heute von Abwanderung betroffen, verschlafen anmutend, hier und da mit sehr alten Ziffern und Straßenangaben, welche die Zeit überdauerten. Diese muss man aber schon finden wollen. Schicht für Schicht muss ihre Geschichte offenbar werden – durch Ausstellungsbesuche vor Ort, Erzählungen, Berichte oder Bilder bzw. Kunstwerke.

Perspektivwechsel: Inwiefern kann der Besuch einer Gedenkstätte für Konfis bereichernd sein?

Ist eine Gedenkstättenfahrt das, was KonfirmandInnen berührt? Sind die Stolpersteine im Ort für Jugendliche relevant? Und wenn nicht, wie gelangen sie ins Bewusstsein? Wie umgehen mit rechten Prägungen? Vielleicht erwarten die Konfis auch einfach … nichts? Ein Konfi-Baustein eben?

Werden die Konfis dann zum ersten Mal mit den Zeitzeugnissen in der Magdeburger Kaserne
konfrontiert, verliert Theresienstadt den
idyllischen Schein. (Foto: Stefanie Stange)

In der Magdeburger Kaserne in Theresienstadt

Wie kann der Gedenkstättenbesuch für die Gestaltung verantwortungsbewussten Zusammenlebens für die Konfis eine Bedeutung erlangen? Geht es hier doch um Kernthemen menschlichen Miteinanders – um Zusammen-Leben unter extremen Bedingungen, um Engagement und Weg-schauen, um Religion und Religiosität, um Schuld und Versagen, um Tod und um Leben.

Umsetzung: „k(eine) Vorstellung“ trifft auf tschechisch-böhmische Kleinstadtidylle

Die Fahrt nach Terezín/Theresienstadt ist eine Kombination von Spurensuche und Gedenkstättenfahrt. In den Lebens-Orten der Konfis befinden sich mehrere Stolpersteine. Gemeinsam mit PfarrerInnen, GemeindepädagogInnen und HistorikerInnen im Ort sowie unter Zuhilfenahme verschiedener Archiv-
einträge erarbeiteten sich die Gruppen die Lebenswege der auf den Solpersteinen benannten Personen. Viele dieser Wege führten durch oder endeten in „Theresienstadt“. Wo liegt das? Was ist das? Was war dort los und wie ging es weiter? So die Fragestellungen.

Ergänzend zu den Geschichten und letzten Wohnorten der Personen sollten die Konfis im Vorfeld überlegen, worüber sie mehr erfahren und in der Nacharbeit bzw. was sie in der anschließenden Ausstellung in ihrer Kirchgemeinde präsentieren wollen. Manchmal schließt sich auch noch ein Zeitzeugengespräch für die Gesamtgemeinde an.

Herausforderung: Die Stadt für die Jugendlichen zum Sprechen zu bringen

In Terezín starten wir auf dem Dachboden der Magdeburger Kaserne. Didaktisch nutzen wir diesen doppelt. Für uns ist er Aufenthalts- und Lernraum. Zur Zeit des Ghettos wurde er – völlig überfüllt, eng und stickig – für Musik- und Theateraufführungen genutzt, was an einer kleinen Bühne samt Bühnenbild erkennbar ist. Die Atmosphäre wirkt. Nach einer geschichtlichen Einführung mit einem Vortrag über Terezín/Theresienstadt zur NS-Zeit, erkunden die Jugendlichen in Kleingruppen verschiedene Stationen in den Ausstellungen der Magdeburger Kaserne.

Nach dem landestypischen Mittagessen, auch das gehört zur Fahrt, geht es mit Guide auf Stadtführung. Dabei ist es herausfordernd, die Stadt für die Jugendlichen „zum Sprechen zu bringen“. Die Lebensbedingungen, d.h. die Überfüllung der Stadt (in der Stadt mit heute kaum 3.000 Einwohnern lebten zur Ghettozeit bis zu 58.000 Häftlinge; 1,6 – 2 m² Wohnfläche pro Person; ca. 100 Personen nutzten eine Toilette), Hunger, Durst, Kälte, Ungeziefer, Sinnlosigkeit des Da-seins oder die ständige Angst vor Deportationen lassen sich kaum beschreiben. Und so ziehen wir weiter zu einer ehemaligen jüdischen Betstube in einer ehemaligen Garage, besichtigen hergerichtete, ehemalige Unterkünfte und vor allem die Stationen der auf den Stolpersteinen benannten Menschen.

Ergänzend nutzen wir Berichte über den 14-jährigen Petr Ginz, welcher im Theresienstädter Untergrund das Jugendmagazin „Vedem“ herausgab oder die Bilder von Helga Weissova welche später das Buch „Zeichne, was Du siehst.“ herausgab. Beide bieten für die Jugendlichen gute Anknüpfungspunkte und es ist viel Anschauungsmaterial im Ghettomuseum bzw. in der Magdeburger Kaserne ausgestellt.

Später am Tag gehen wir zum Columbarium, den Totenräumen und von da aus zum Friedhof. Dort können die Jugendlichen die von zu Hause mitgebrachten Gedenksteine ablegen und sich vom Ort mit seinen Geschichten verabschieden. Es folgen eine Andacht und ein Gebet. Dann geht es nach Hause. 

Diakonin Stefanie Stange ist Referentin für schulbezogene Jugendarbeit und Erlebnispädagogik im Landesjugendpfarramt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens.

Du hast Interesse am Thema „Faschismus“?
Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 1/25 Faschismus

Titelbild: Der Marktplatz von Theresienstadt. (Foto: Stefanie Stange)

Literatur

  • Niedersächsischer Verein zur Förderung von Theresienstadt/ Terezín e.V. (Hrsg.): Weissová, Helga: Zeichne, was Du siehst. Zeichnungen eines Kindes aus Theresienstadt/ Terezín. (3. Aufl. 2013) Wallstein Verlag. Göttingen, 1998
  • Ritscher, Wolf: Bildungsarbeit an den Orten nationalsozialistischen Terrors. „Erziehung nach, in und über Auschwitz hinaus“. 2., überarbeitete Auflage 2017. Weinheim: Beltz Juventa 2013
  • Steinbrenner, Felix; Sturm, Michael: „Wie hier mit jungen Neonazis sinnvoll pädagogisch gearbeitet werden kann, ist mir allerdings schleierhaft“ Kritische Überlegungen zum Bildungsformat Gedenkstättenfahrt und dessen Möglichkeiten zur Prävention von Rechtsextremismus und Rassismus in: Langebach, Martin; Liever, Hanna: Im Schatten von Auschwitz. Spurensuche in Polen, Belarus und der Ukraine: begegnen, erinnern, lernen. Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn, 2017; S. 569 – 583
  • de.wikipedia.org/wiki/Gedenkst%C3%A4tte (03.12.24)
  • www.pamatnik-terezin.cz/ (03.12.2024)
  • www.ardaudiothek.de/episode/das-feature/schreiben-im-untergrund-das-jugendmagazin-vedem-in-theresienstadt/bremen-zwei/13071005/ (03.12.2024)

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