Das Phänomen Gaming
Ruben Ullrich

Das Phänomen Gaming

Das Phänomen Gaming


Lesezeit: 9 Minuten

Ausgabe 3/25 Langeweile

Ruben Ullrich ist Referent für Jugend- und Junge Erwachsenen-Arbeit beim Deutschen Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC) e.V.

Hilfestellung für die Jugendarbeit

Als Referent für Gaming beim EC Deutschland führe ich viele Gespräche mit unterschiedlichen Personen und ganz unterschiedlichen Verläufen. Ältere Erwachsene, gerade Christinnen und Christen, sind oft sehr vorsichtig, verurteilen teilweise auch den Konsum „der Jugend“. „Wie kann man nur so viel Zeit mit sowas verschwenden?“ „Früher sind wir einfach rausgegangen und haben da unsere Freunde getroffen.“ Aber auch: „Ich mache mir Sorgen um mein Kind, weil es so viel Zeit am Bildschirm verbringt.“

Jugendliche und junge Erwachsene erlebe ich offener. Sie sind mit Videospielen und Handygames aufgewachsen. Haben das Medium längst in ihren Alltag integriert. Schnell ist an der Bushaltestelle das Handy gezückt und eine Runde gezockt. Oder wird abends „nach Feierabend“ nochmal mit Freunden eine Runde Valorant gespielt. Von ihnen höre ich eher Sätze wie: „Ich fühle mich nicht verstanden.“ „Papa ist auch so viel am Handy. Warum darf ich nicht zocken?“ Aber auch: „Ich bin viel alleine zu Hause, weil meine Eltern arbeiten. Da zocke ich halt.“

Wie bei jedem Medium hängt viel davon ab, wie wir es nutzen

Diese Pole, diese unterschiedlichen Wahrnehmungen des „Phänomens Gaming“ sind äußerst spannend und ich hoffe, eine Hilfe beim gegenseitigen Aufgehen zu sein. Dieser Artikel soll genau dafür eine Begleitung sein, den eigenen Horizont erweitern und eine Hilfestellung für die Jugendarbeit darstellen.

Ich selbst bin seit über 30 Jahren Gamer. Damals auf der Nintendo-Spiele-
konsole mit Super Mario Bros. ist meine Liebe für dieses Medium entfacht worden. Seither begleitet und begeistert mich das Thema. Eher auf den Konsolen zu Hause liebe ich storybasierte Spiele und bin fasziniert davon, wie toll das Medium Geschichten erzählen kann. Spiele wie „The Last of Us“, „Secret of Mana“, aber auch „The Legend of Zelda“ haben einen sehr speziellen Platz in meinem Herzen. Und auch ich selbst habe mir in meiner Jugend die Fragen gestellt: „Kann ich Christ UND Gamer sein? Was sagt eigentlich die Bibel zum Thema Gaming? Darf ich das überhaupt?“ 

Heute bin ich überzeugt: Ich darf. Meine Vision ist, dass sich kein Jugendlicher und keine Jugendliche mehr solche Fragen stellen muss. Sondern, dass wir als Kirchen und Gemeinden endlich anerkennen, dass Gaming Teil unserer Kultur ist. Wie auch Bücher, Filme, Theater, Musik. Seit ein paar Jahren darf ich das Thema auf deutschlandweiter Ebene voranbringen, habe verschiedene Veranstaltungen wie die „LevelUp Konferenz“ Heute bin ich überzeugt: Ich darf. Meine Vision ist, dass sich kein Jugendlicher und keine Jugendliche mehr solche Fragen stellen muss. Sondern, dass wir als Kirchen und Gemeinden endlich anerkennen, dass Gaming Teil unserer Kultur ist. Wie auch Bücher, Filme, Theater, Musik. Seit ein paar Jahren darf ich das Thema auf deutschlandweiter Ebene voranbringen, habe verschiedene Veranstaltungen wie die „LevelUp Konferenz“ gegründet, ein Buch zum Thema „Gaming und Glaube“ veröffentlicht und starte gerade ein neues Projekt mit dem Namen „Faith and Pixels“.

Gaming – längst mehr als ein Hobby

Denn Gaming, das zeigen aktuelle Zahlen, ist längst kein Nischenthema mehr. Was vor wenigen Jahrzehnten noch als Zeitvertreib für Technikbegeisterte galt, ist heute ein fester Bestandteil unserer Alltagskultur – quer durch alle Altersgruppen. Laut dem Jahresreport „Gaming in Deutschland“ spielten 2024 rund 58 Prozent der sechs bis 69-jährigen Deutschen regelmäßig digitale Spiele – das sind etwa 48 Millionen Menschen. Besonders auffällig: Auch bei den über 50-Jährigen nimmt der Anteil stetig zu. Gaming ist längst im Alltag angekommen – und damit auch in Familien, Schulen, Gemeinden und der Jugendarbeit. Der Altersdurchschnitt liegt dabei erstaunlich hoch: 38,2 Jahre sind Spielende im Durchschnitt alt. 78 Prozent aller Spielenden sind mindestens 18 Jahre alt. Und entgegen aller Vorurteile sind von allen Spielenden 48 Prozent weiblich und damit 52 Prozent männlich. Für mich immer wieder interessant, diese Zahlen zu referieren und damit Menschen die Realität vor Augen zu führen: Gaming ist längst da. 

Die Gaming-Branche hat sich in den letzten Jahren zur umsatzstärksten Medienbranche entwickelt – noch vor Musik und Film. Die Gamescom, Europas größte Spielemesse, zählt jährlich Hunderttausende Besucher*innen. Große Medienhäuser berichten regelmäßig über Gaming-Trends, es gibt universitäre Studiengänge rund um Games, und selbst die Bundesregierung fördert die Entwicklung deutscher Spiele mit Millionenbeträgen.Gleichzeitig begegnet Gaming weiterhin Vorurteilen: Es mache süchtig, sei reine Zeitverschwendung oder verhindere „echte“ Begegnung. Doch wie bei jedem Medium hängt viel davon ab, wie wir es nutzen. Denn Gaming kann verbinden, fordern, entspannen – und Gemeinschaft stiften. Gerade in der Jugendarbeit liegt hier ein großes Potenzial.

Sinnvoll gamen – geht das überhaupt?

Daher drängt sich die Frage auf: Gibt es einen guten, einen sinnvollen Umgang mit dem Medium? Und was bedeutet überhaupt „sinnvoll spielen“ in einer Welt, in der digitale Unterhaltung jederzeit und überall verfügbar ist? Ich habe für mich selbst vier Prinzipien aufgestellt, die helfen sollen, den Gamingkonsum sinnvoll zu gestalten:

1. Bewusst statt beliebig

Nicht jedes Spiel ist für jede Person geeignet – und nicht jede Spielsession muss endlos dauern. Wer sich bewusst für ein Spiel entscheidet und eine konkrete Zeit dafür ein-
plant, erlebt intensivere und oft erfüllendere Spielmomente. Dabei helfen Fragen wie: Was möchte ich heute spielen – und warum? Suche ich Spannung, Entspannung, Kreativität oder Austausch?

Gaming – sichtbar und eingebunden – verliert seinen „heimlichen“ Charakter

Auch in der Jugendarbeit kann das hilfreich sein: Welches Spiel passt zur Gruppe? Was ist das Ziel des Spielens – Spaß, Kennenlernen, Kooperation, Reflexion? Diese Frage stelle ich mir tatsächlich immer wieder. Und entscheide mich dadurch auch immer wieder gegen Spiele. Die zum Beispiel zu gewalttätig sind, deren Geschichte mich zu betroffen macht oder die einfach ein langweiliges Gameplay haben. Wichtig ist, bewusst zu spielen. Sowohl wann, als auch wie und was. Das gilt für die Gamer und Gamerinnen, aber auch für den Einsatz in der Jugendarbeit. 

Eine Hilfe kann hier auf jeden Fall die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (kurz USK) sein. Die schätzt für jedes Videospiel ein, ab welchem Alter es gespielt werden darf. Auch für Nicht-Gamer-Eltern oder die Jugendarbeit eine wichtige Entscheidungshilfe!

2. Gemeinsam statt einsam

Viele Spiele fördern Zusammenarbeit, Kommunikation und gegenseitige Unterstützung. Gerade in Gruppen – egal ob zuhause oder in der Jugendarbeit, oder ob online oder offline – kann gemeinsames Spielen die Beziehungen stärken. Wichtig ist, die Gruppendynamik im Blick zu behalten: Nicht alle wollen (oder können) kompetitiv spielen. Kooperative Spiele bieten hier gute Alternativen. 

Wer gemeinsam spielt, erlebt gemeinsam – und das schafft Gesprächsanlässe weit über das Spiel hinaus. Denn das Spiel findet vielleicht in der digitalen Welt statt. Die Erfahrungen und Erlebnisse, die wir in der digitalen Welt machen, die Gefühle, die wir in dieser Welt fühlen, sind aber real. Und können zusammenbringen. 

3. Dialog statt Doppelmoral

In vielen Familien und Gemeinden gibt es einen Generationenkonflikt rund ums Thema Gaming. Die einen sehen nur die Risiken, die anderen fühlen sich nicht ernst genommen. Ein offener, wertschätzender Dialog ist entscheidend. Warum spielen Jugendliche so gerne? Was macht ein Spiel aus? Und welche Erfahrungen können auch Erwachsene dabei machen? Was ist das Reizvolle daran? Oft gibt es gute Gründe, warum Menschen spielen. Um abzutauchen, nach einem vollen Tag abzuschalten oder um die Freunde zu treffen. 

Hier ist es wichtig, auch den eigenen Konsum als erwachsener Menscher zu reflektieren. Ich erlebe immer wieder Eltern, die sich darüber wundern, wie viele Stunden ihr Kind in der Woche Computerspiele spielt. Selber reflektieren sie aber nicht, wie viel Zeit sie am Handy oder beim Netflix schauen verbringen. Tipp: Einfach mal mitspielen – auch als Mutter, Vater, Jugendleiterin oder Pastorin. Das öffnet Türen und ist eine unglaubliche Wertschätzung. 

4. Räume statt Regeln

Gerade in der Jugendarbeit lohnt es sich, nicht nur über Spielzeiten und Altersfreigaben zu sprechen, sondern aktiv Räume für gemeinsames Spielen zu gestalten. Warum nicht mal einen Gaming-Abend im Gemeindehaus, ein Mario-Kart-Turnier beim Jugendwochenende oder eine Minecraft-Welt, die zusammen mit Jugendlichen gebaut wird? Wenn Gaming sichtbar und eingebunden wird, verliert es seinen „heimlichen“ Charakter – und wird Teil echter Gemeinschaft. Es verliert sicherlich nicht seinen Reiz, aber es bekommt eben den Platz, den es braucht, um es in den Alltag zu integrieren. 

Fünf Spiele, die verbinden – und in der Jugendarbeit funktionieren

Nicht jedes Spiel eignet sich für die Gruppenarbeit. Gute Spiele für diesen Kontext sind niedrigschwellig, motivierend und fördern den Austausch. Hier findet ihr fünf Empfehlungen.

Gaming ist kulturelles Austauschmittel, Begegnungsraum und Ort der Kreativität, es kann Stärken und Zusammenhalt schaffen

Diese Spiele eignen sich meiner Meinung nach sehr gut für das Setting der Jugendarbeit. Denn sie fördern Kommunikation und Zusammenarbeit und haben einen gewissen Chaos-faktor. Sie ermöglichen gemeinsame Erfahrungen und können die Gruppe zusammenbringen. 

Ein Wunsch zum Schluss

Gaming ist mehr als ein Zeitvertreib – es ist ein kulturelles Ausdrucksmittel, ein Begegnungsraum und ein Ort der Kreativität. Es kann Menschen stärken, Gruppen verbinden und sogar zur Reflexion über Werte, Gemeinschaft und Sinn beitragen. Mein Wunsch ist, dass Gaming in unserer Gesellschaft (und auch in unseren Gemeinden und Jugendarbeiten) einen festen Platz bekommt. Nicht unreflektiert, aber offen, neugierig und mit dem Vertrauen, dass auch in digitalen Welten echte Gemeinschaft entstehen kann.

Gaming ist angekommen. Jetzt ist es an uns, es sinnvoll zu gestalten. Gehen wir es an!


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Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 3/25 Langeweile
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Titelbild: Minecraft

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