Kinderkirche neu gedacht
Frische Konzepte für Gottesdienste mit Kindern und ihren Familien
Wie leben Kinder und Familien heute? Wie wollen sie Kirche erleben? Wie lässt sich so Gottesdienst feiern, dass es für Kinder und Familien „taugt“? Es macht Sinn, so zu fragen und Gottesdienstformen zu entwickeln, die zur Lebenswirklichkeit von Kindern und Familien passen. Dafür gibt es kein Patentrezept. Aber viele ermutigende Aufbrüche!
Welches Konzept in welcher Gemeinde oder Region passt, hängt von unterschiedlichen Sozialräumen, personellen Ressourcen, Standortfaktoren wie beispielsweise den Räumen und Strukturen vor Ort beziehungsweise in der Region ab. Und nicht zuletzt davon, für welches Format Lust und Energie da ist, bei den Ehren- und Hauptamtlichen, die es gestalten.
Gemeinsame Gelingensfaktoren trotz Unterschiedlichkeiten
Gottesdienstzeiten, die zum Alltag von Kindern und Familien passen – damit es nicht am Sonntagmorgen den gleichen Stress gibt, wie werktags. Was vielleicht banal klingt, entpuppt sich als Schlüsselfaktor. Denn Familienzeit ist unter der Woche eng getaktet und auch der Samstag steckt oft voller Termine und To Do’s. Darum tut es allen gut, wenn der Sonntag in Ruhe starten kann. Wenn der Gottesdienst am späten Vormittag beginnt und mit einer offenen Sing-Zeit anfängt, dann können Familien entspannt ankommen. Aber auch Sonntag um 11.00 Uhr ist nicht „die“ Lösung, die überall passt. Für eine Gemeinde in München hat sich Mittwoch am späten Nachmittag, zur Abholzeit aus Kita und Hort, als die passende Familiengottesdienst-Zeit herausgestellt. Denn am Wochenende geht es für viele Familien in die Berge oder Kinder aus Patchworkfamilien sind regelmäßig zum Besuchswochenende weg. In einer anderen Region hat sich Samstag Nachmittag als ideale Zeit etabliert.
Gottesdienstformen ohne „Hürden“, die kein liturgisches Vorwissen voraussetzen und „milieusensibel“ sind. Dazu gehört eine Liturgie, die Beteiligung ermöglicht und Kopf, Herz und Hand anspricht. Mehr dazu im Steckbrief zum Konzept der Familienkirche.
Gottesdienstformen, die Kinder und Eltern ansprechen, stärken und „Seelenproviant“ geben. Auch Eltern genießen es, wenn Kirche kreativ ist, lebendig und verständlich (nicht banal!): Kirche mit Kindern wird so zum Ort, wo Eltern mit ihrer eigenen spirituellen Suche andocken können. Oft besuchen auch Senior:innen bewusst solche generationsverbindenden Gottesdienste und freuen sich an der Begegnung mit den Kindern.
Verschiedene Formen für verschiedene Zielgruppen
Allerdings: Ältere Kinder und Teenies brauchen ihren eigenen Raum. Kein Elfjähriger will immer mit Dreijährigen feiern. Kids-Go für die Großen parallel zur Minikirche ist hier eine gute Lösung oder Gottesdienste mit altersdifferenzierten Phasen (zum Beispiel ein Bibliolog für die Erwachsenen, eine Gesprächs- und Kreativphase für die älteren Kinder und eine Bibelgeschichte mit Bodenbild für die jüngeren). Ältere Kinder können auch als Mitarbeitende den Gottesdienst aktiv mitgestalten.
Gottesdienste plus X mit gemeinsamem Essen. Familienzeit unter der Woche ist knapp. Wer sich im Konzert der Wochenendangebote für Kirche entscheidet, will dort als Familie gemeinsam eine gute Zeit erleben. Dazu gehört, dass man bei Kirchens nicht nur innerlich, sondern auch leiblich satt wird. Formate wie FrühstüXkirche, die mit einem Brunch startet, Kirche Kunterbunt am Samstagnachmittag mit warmem Abendessen zum Schluss oder Familienkirche sonntags um 11.00 Uhr mit Mittagsimbiss entlasten Familien, weil nach dem Gottesdienst alle satt nach Hause gehen. Das gemeinsame Essen fördert Vernetzung und schafft Kontaktflächen. Wenn es für die Kinder noch ein Spiel- oder Kreativangebot gibt und für die Eltern Zeit für einen Kaffee, kommen alle auf ihre Kosten. So wird Kirchenzeit für Familien zur Quality Time.
Andere Orte entdecken, aber auch den Kirchenraum sprechen lassen. Die Coronazeit hat gezeigt: Gottesdienst geht auch auf dem Spielplatz, auf der Kirchenwiese oder als Stationen-Weg durch den Wald. Gottesdienst und Familienausflug passen so ganz wunderbar zusammen. Zugleich braucht es Gottesdienste mit Kindern, in denen der Kirchraum sprechen kann und sich erkunden lässt – auf kindgerechte Weise. Kinderkathedrale auf Zeit ist hier eine geniale Sache. Wer mehr dazu wissen will: www.kinderkathedrale.de
Der innere Kompass
Konzeptionelle Arbeit im Feld „Gottesdienste mit Kindern“ braucht bei all diesen Überlegungen eine treibende innere Kraft: Den Wunsch, dass Kinder heilsame, tragende Erfahrungen im Glauben machen können, dass sie biblische Geschichten auf lebendige, kreative und altersgerechte Weise erleben, dass sie Gemeinschaft erfahren und in all dem Kirche und Gemeinde als guten Ort für sich entdecken. Erfahrungen in der Kindheit prägen auf tiefgreifende Weise. Hier werden grundlegende Linien fürs Leben gelegt. Das Vertrauen zu Gott, das in der Kindheit wächst, ist wie ein Schatz, den ich in mir trage, auch wenn ich aus den Kinderschuhen herauswache. Für die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation sind Gottesdienste mit Kindern Schlüsselorte. Denn in dem Maße, in dem die religiöse Sozialisation in den Familien abnimmt, wächst der Kirche Verantwortung zu, Kindern (und ihren Eltern!) Begegnungsräume mit dem Evangelium zu eröffnen. Eine große und zugleich wunderbare Aufgabe!
Zielgruppen unterscheiden und unterschiedliche Reichweiten akzeptieren
Kindergottesdienst parallel zum Er-wachsenengottesdienst erreicht in der Regel vor allem Kinder aus Kerngemeindefamilien und die Kinder der Mitarbeitenden. Statt vergangenen Zeiten mit großen Kigogruppen nachzutrauern oder Kindergottesdienst mit wenigen Kindern vorschnell aufzugeben, gilt es, den Kindergottesdienst als „Nachwuchsarbeit“ wertzuschätzen: Flexibel für Kleinstgruppen, mit realistischem Aufwand und mit Akzeptanz der kleinen (aber feinen!) Reichweite: Die „Mitarbeiterkinder“ sind es wert! Kirche kann da von den Vereinen lernen: Keine Feuerwehr würde ihre Jugendfeuerwehrgruppe einstellen, weil „nur“ fünf Kinder kommen! Gleichzeitig braucht es Gottesdienstformate für Familien, die Kirche nicht automatisch auf dem Radar haben.
Die Beispiele, die hier als Steckbriefe vorgestellt werden, verstehen sich als Gottesdienstkonzepte „plus X“ – zu familienkompatiblen Zeiten und in Formen, die auch „Nichtkerngemeindemenschen“ ansprechen.
Vier Steckbriefe aktueller Konzepte
Kinderkirchmorgen – ein Samstagsangebot für Kinder, das zugleich Eltern entlastet
Ausgangssituation: In den einzelnen Gemeinden der Region gibt es nur wenige Kinder; ein regelmäßiges Angebot für Kindergottesdienst in jeder Gemeinde ist nicht mehr sinnvoll möglich. Ein Kooperationsprojekt in der Region wird entwickelt: der Kinderkirchmorgen, für Kinder (ohne Eltern!), ab Vorschulalter.
Gottesdienste für Familien anbieten – nicht nur „wenn mal Zeit ist“
Am Samstagvor- oder nachmittag, ungefähr zwei bis drei Stunden, monatlich. Der Ablauf ist wie ein kurzer Kinderbibeltag oder ein „normaler“ Kindergottesdienst mit mehr Zeit für Gespräch, Spielen, Kreatives, Feiern, Essen…
Eltern können ihre Kinder „abgeben“ während sie den Samstagseinkauf erledigen. Kinder genießen die besonderen Aktionen, die wegen der längeren Zeit möglich sind und haben Spaß in der größeren Gruppe. Mitarbeitende erleben, dass im regionalen Team mehr an Kreativität möglich ist und man gabenorientiert mitmachen kann.
Kigo on tour: Gottesdienst an spannenden Orten und Sonntagsevent für die ganze Familie
Rausgehen! Das gehört bei jedem Kigo on tour dazu. Hier wird von Frühjahr bis Herbst einmal pro Monat unter freiem Himmel gefeiert. Gottesdienst und Familienausflug passen so wunderbar zusammen. Mal geht es an eine Biberburg zum Thema „Spuren“, mal in die Gärtnerei, wo sich alles ums Wachsen dreht. Auch am Feuerwehrhaus oder auf dem Spielplatz lässt sich Gottesdienst feiern. Zum Thema „Wasser“ kommen Kinder und ihre Familien am Ufer des Baggersees zusammen. Immer im Mittelpunkt: eine Bibelgeschichte, die etwas mit dem Ort zu tun hat. Die Geschichte von der Arche Noah wird auf dem Bauernhof lebendig mit vielen Tieren drumherum. Der Kigo on tour startet zu einer familienfreundlichen Zeit, sonntags um 10.30 Uhr. Eine Kreativ-
aktion für die Kinder gehört dazu. Und nach dem Gottesdienst geht der Familiensonntagausflug mit einem Mitbringpicknick weiter.
Familienkirche: Wenn Rituale Glaubensheimat schenken
Einmal im Monat um 11.00 Uhr kommen hier Kinder und Eltern auf ihre Kosten. Lieder mit Action und Bewegungen für die Kids wechseln sich ab mit Liedern, die den Erwachsenen ins Ohr und ins Herz gehen. Schon bevor die Familienkirche startet, geht es mit einer Runde Singen los, so dass auch Familien, die etwas später kommen, noch „hereintröpfeln“ können. Gebetet wird nicht nur mit Worten, sondern mit Steinen und Kerzen. Kleine und große Hände greifen sich einen Stein aus einem Korb und spüren, wie schwer und kantig der in der Hand liegt. Auf dem Altar unter dem Kreuz ist Platz für die Steine, für das, was bedrückt und schwer auf der Seele liegt. Kinder und Eltern bringen ihre Steine dorthin, ein Lied begleitet das Kommen und Gehen. Das Gebet mit den Steinen gehört ganz fest zur Familienkirche, ein Ritual, das schon kleine Kinder anspricht und alle Generationen verbindet. Herzstück der Familienkirche ist eine lebendig erzählte Bibelgeschichte. Wenn vom Sturm auf dem See erzählt wird, den Jesus zur Ruhe bringt, machen die Kinder die Sturmgeräusche mit und tauchen ganz in die Geschichte ein.
Mit Kamishibai-Theater wird die Himmelfahrtsgeschichte gleich viel anschaulicher.
(Foto: Silvia Henzler)
Gleichzeitig wird so erzählt, dass auch die Erwachsenen sich in der Geschichte wiederfinden können – im Wind, der einem entgegensteht und das Leben durchrüttelt, in der Frage: „Was stillt meine Angst und lässt meine Seele ruhig werden?“ Am Ende der Familienkirche kommt dann nochmal Bewegung auf: Wenn alle, die möchten, eine Kerze anzünden können. Die Kinder lieben dieses Ritual. Ganz vorsichtig gehen sie mit den Lichtern um, sorgfältig begleitet vom Team der Familienkirche. Auch viele Erwachsene entzünden eine Kerze. Am Ende leuchtet um die Steine herum neben dem Kreuz ein kleines Lichtermeer. Dank, Bitte, Hoffnung und vieles mehr steckt in den Lichtern, eine Form zu beten, die keine Worte braucht und trotzdem spricht.
Kirche Kunterbunt – frech, wild und wundervoll, wie bei Pippi Langstrumpf
Am Samstag Nachmittag sind die Türen des Gemeindezentrums weit offen. Kaffee und Saft stehen bereit, wer kommt, malt sich ein Namensschild und wird persönlich begrüßt. Verschiedene Aktiv- und Kreativstationen sind aufgebaut, an denen gewerkelt, gebastelt, experimentiert oder gespielt wird. Alles dreht sich um ein Thema, das sich hier auf ganz verschiedene Art entdecken lässt. Kinder und Eltern können an den Stationen gemeinsam aktiv sein, größere Kinder machen gern ihr eigenes Ding und haben Freiraum. Auch ältere Menschen kommen und genießen das Miteinander der verschiedenen Generationen, manche betreuen selbst eine der Stationen. Nach dieser Aktivzeit geht es mit einer „Feierzeit“, also einem kurzen Gottesdienst weiter. Da kommt eine Bibelgeschichte ins Spiel, die das Thema der Stationen vertieft. Das Besondere: Was Kinder und Erwachsene an den Stationen erlebt haben, fließt hier mit ein. Die Königskronen, die die Kinder an einer Station gebastelt haben, werden gleich aufgesetzt, wenn davon erzählt wird, wie wertvoll wir für Gott sind.
Welche Form passt, müssen die Kirchengemeinden ausprobieren
Nach der Feierzeit ist der Tisch für ein warmes Abendessen gedeckt. Tischgemeinschaft ist ganz wichtig bei Kirche Kunterbunt, denn hier sollen alle, die kommen, Gastfreundschaft erleben. An Leib und Seele satt gehen Klein und Groß nach zweieinhalb Stunden Kirche Kunterbunt nach Hause. Auch wer wenig Kontakt zu Kirche hat, kann bei Kirche Kunterbunt gut andocken. Viele Gemeinden in Bayern laden dazu ein. Wo genau, das lässt sich unter www.kirche-kunterbunt.de auf einer interaktiven Landkarte entdecken.
Vier Beispiele, vier „Appetizer“ für Gottesdienstformen, in denen Kinder und ihre Bezugspersonen sich gut aufgehoben fühlen können. Es gibt natürlich noch weitere… Wer Beratung dazu sucht, ist bei den Fachstellen für Kirche mit Kindern richtig, die es in jeder Landeskirche gibt (eine Übersicht findet sich hier: https://kindergottesdienst-ekd.de/mitglieder-des-gesamtverbandes-fuer-kindergottesdienst/).
Ein Plädoyer zum Schluss
Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt klar, welche Bedeutung Gottesdienste mit Kindern haben (und dazu zählen auch Festgottesdienste und Kasualien, bei denen Kinder Teil der Gemeinde sind). Gottesdienste mit Kindern können und dürfen daher nicht Kür sein nach dem Motto „Das machen wir, wenn wir noch Zeit, Kraft, Ressourcen haben“. Sie gehören ins feste gottesdienstliche Grundprogramm. Wenn dann am Samstagnachmittag bei Kirche Kunterbunt Kinder und Familien aus der ganzen Region zusammenkommen, dann darf am nächsten Tag der Gottesdienst für die Erwachsenen in der Nachbargemeinde stattfinden. Gottesdienstplanung in der Region bietet hier große Chancen: Keine Gemeinde muss mehr „Vollsortimenter“ sein, gemeinsam lässt sich ein monatliches Gottesdienstangebot für Kinder und Familien in erreichbarer Nähe realisieren: Nicht on top zum sonntäglichen Erwachsenengottesdienst, sondern als vollwertiger Gottesdienst an diesem Wochenende. Und zu den Festzeiten des Kirchenjahres sowieso.
Welches Gottesdienstkonzept vor Ort passt, das kann unterschiedlich sein. Hauptsache Kinder und Familien erleben:
Hier sind wir willkommen!
Susanne Haeßler unterrichtet Religion an einer evangelischen Schule in Nürnberg und war bis Sommer 2024 Referentin für Gottesdienste mit Kindern im Gottesdienst-Institut und Pfarrerin für Kindergottesdienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Du hast Interesse am Thema „Kinderglaube“?
Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 4/24 Was Kinder glauben.
Titelfoto: Ungewöhnliche Formate können Eltern und Kinder anders ansprechen, als der klassische Sonntagsgottesdienst. (Foto: Andreas Kraft)
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