Medienwelten und Resilienz

Welche Rolle haben Medien auf die Resilienz einer Gesellschaft?
Medien kommt eine zentrale Bedeutung für die Wahrnehmung unserer (Um-)Welt zu. Wir alle erfahren in den Medien von internationalen Konflikten, Pandemien, von Kürzungen im Staatshaushalt, von Diskussionen über den Zustand des Bildungssystems und vielem Weiteren mehr. Diese Informationen werden in unseren Gesellschaften herangezogen, um alltägliche Erfahrungen zu interpretieren und zu bewerten. Und diese herausgehobene Bedeutung von Medien begründet auch einige Sonderrechte für Journalist:innen, da sie in einer verantwortlichen Position für die Willensbildung in demokratischen Gesellschaften sind.
Wenn es im Folgenden also um Medienwelten und Resilienz geht, wird die Frage wichtig sein, welche Rolle Medien mit Blick auf die Resilienz einer Gesellschaft haben, mit gesellschaftlichen Herausforderungen und Veränderungen umzugehen. Dabei wird insbesondere in den Blick zu nehmen sein, welche Veränderungen in der Medienwelt im Zuge des digitalen Wandels zu beobachten sind. So haben (gerade bei Jugendlichen) klassische redaktionelle Medienangebote an Bedeutung im Informationshandeln verloren und Social Media Plattformen mit einer großen Heterogenität von Content-Creator:innen an Relevanz gewonnen.
Plattformöffentlichkeiten als neue Form der Öffentlichkeit
Aber noch eine weitere Entwicklung in der Medienwelt ist im Hinblick auf Resilienz zu betrachten: So hat der Medienwandel auch ganz neue Arenen der interpersonalen Kommunikation hervorgebracht. Neben die „klassische“ Öffentlichkeit (als Summe aller veröffentlichten Meinungen) sind Plattformöffentlichkeiten getreten. Dies hat (neben anderem) beispielsweise zu der Differenzierung in private, semi-private, semi-öffentliche und öffentliche Kommunikation geführt, die unterschiedliche Grade der Bekanntheit und des Wissens über Teilnehmende der Kommunikation ausdrücken soll.
Fear-of-missing-out: Die Furcht, relevante Dinge zu verpassen
Die Kommunikation in einer Messenger-Gruppe mit allen Eltern einer Klasse (die man nicht alle kennt) wäre damit bspw. als semi-privat einzuordnen. Mit solchen Kommunikationssettings sind bestimmte Regeln und Erwartungshaltungen verbunden, aber es können auch spezifische Herausforderungen und Probleme entstehen. Beispiele hierfür aus dem Medienalltag von Jugendlichen sind Konfliktdynamiken in solchen Settings bis hin zu Hate Speech, Cybermobbing oder auch die Fear-of-missing-out (also die Furcht, relevante Informationen zu verpassen und dadurch in Stress zu geraten).
Bei der Betrachtung von Resilienz und Medienwelten könnte also differenziert werden zwischen der Resilienz für gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Problemen, die über Medien wahrgenommen werden, und der Resilienz hinsichtlich von Problemen, die in der mediengestützten Kommunikation selbst begründet sind. Es wird sich aber zeigen, dass diese Unterscheidung auch nicht trennscharf ist. Wichtig ist aber, Resilienz nicht allein auf das Bewältigen von Herausforderungen in der Medienkommunikation zu beschränken.
Resilienz und Medienkompetenz
Resilienz ist kein klassischer Begriff in der Fachdiskussion um das Medienhandeln (junger) Menschen. Aus der Psychologie stammend wurde er erst vor rund zehn Jahren auch in Relation zu den Klassikern der medienpädagogischen Diskussion wie Medienkompetenz diskutiert. Dabei haben sich zwei unterschiedliche Blickrichtungen entwickelt.
Auf der einen Seite wurde Medienkompetenz von Hauck-Thum (2018) als Resilienzfaktor diskutiert. Resilienz wird dort in Rückgriff auf Wustmann und Fthenakis (2004) gefasst als Fähigkeit von Einzelnen, mit belastenden Lebensumständen oder Stressoren erfolgreich umzugehen (ebd., S. 18). Hauck-Thum blickt dabei auf für Kinder verfügbare Kompetenzen und Strategien, die Resilienz unterstützen, und identifiziert dabei:
- Fähigkeit zur Selbst-/Fremdwahrnehmung;
- Selbstwirksamkeitserwartung;
- Soziale Kompetenzen in der Gruppe;
- Fähigkeit zur Selbstregulation;
- Problemlösefähigkeit;
- Aktive Bewältigungskompetenz (gemeint als Fähigkeit, eigene Handlungsstrategien und Unterstützungsbedarf in einer Situation adäquat einschätzen und aktivieren zu können).
In der Forschung von Hauck-Thum stand dann im Fokus, inwiefern in medienpädagogischen Projekten gerade solche Kompetenzen gefördert werden können, damit die Kinder insgesamt in ihrem Leben Kompetenzen entwickeln, die ihrer Resilienz zuträglich sind. So erfordert beispielsweise eine filmische Erzählung die bewusste Perspektivenübernahme unterschiedlicher Charaktere im Skript wie auch ganz praktisch in Aufnahme und Schnitt. Hier liegt also der Fokus auf der pädagogischen Arbeit.
Auf der anderen Seite gibt es die Betrachtung, dass Medienkompetenz selbst die Resilienzfaktoren beschreibt, um die Herausforderungen der Medienwelt bewältigen zu können. Medienkompetenz wird quasi als Immunisierung gedacht, mit der Kinder, Jugendliche und letztlich alle Menschen eigentätig und selbstbestimmt in einer Medienwelt agieren können, deren problematische Seiten durch den digitalen Wandel weniger reguliert werden können.
Rezipient:innen müssen ein hohes Maß an Quellenkritik mitbringen
Dies gilt sowohl für die Art und Weise, wie wir über Medien Informationen über die Welt erhalten: Zu denken ist an Miss- und Desinformationen, weitgehend unregulierte Parteienwerbung in Social Media oder auch KI-generierte Inhalte. All diese Entwicklungen erfordern von den Rezipient:innen ein höheres Maß an Quellenkritik oder eben kritische Medienkompetenz. Dies bezieht sich aber nicht allein auf digitale Inhalte auf den Plattformen, sondern zunehmend auch auf unter ökonomischen Druck geratene klassische Medienangebote wie Zeitungen oder Magazine. Folgerichtig gilt hier dann auch die Stärkung von Medienkompetenz als ein wichtiger Bestandteil einer gesellschaftlichen Resilienz als Widerstandskraft gegen antidemokratische Bestrebungen in der Bundesrepublik.
Resilienz setzt auch individuelle Kompetenzen voraus
Medienkompetenz gilt aber auch als Stärkung der Widerstandskraft bezogen auf die Risiken, die in den verschiedenen Sphären der interpersonalen Kommunikation liegen (können). Häufig wird sich dabei auf Coping-Strategien fokussiert, wie Betroffene oder Bystander in entsprechenden Situationen positiv zur Lösung einer problematischen Situation beitragen können. Gerade mit Blick auf die Aspekte Cybermobbing und Hate Speech wird deutlich, dass Resilienzstärkung dabei nicht nur selbstbezogen gedacht werden darf. Es kann nicht nur darum gehen, die jeweils individuellen Fähigkeiten zu stärken – vielmehr wird auch hier deutlich, dass gegen Online-Anfeindungen eine soziale Gruppe aktiv werden muss. Gerade wenn es darum geht, nicht nur individuell mit einer Anfeindung „zurecht“ zu kommen, sondern aktiv dafür einzutreten, dass problematisches Handeln auch (zumindest sozial) sanktioniert wird.
Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass die sogenannten Interaktionsrisiken als neue Dimension der Online-Risiken mit der Novellierung des Jugendschutzgesetzes von 2021 auch in den Wirkungsbereich des Gesetzes gezogen wurden. Zielstellung war hier, neue Werkzeuge einzuführen, die helfen, Beeinträchtigungen der persönlichen Integrität durch Interaktionsrisiken zu vermeiden oder diese wirksam abzustellen. Hier wird eine weitere Ebene der Resilienzförderung deutlich, da hier Plattformen verpflichtet wurden, dem Schutz zuträgliche Voreinstellungen vorzunehmen und wirksame Meldeverfahren zu etablieren.
Resilienz von Menschen und der demokratischen Gesellschaft
Die angeführten Beispiele verdeutlichen, dass Resilienz mit Blick auf die Medienwelt nicht allein als individuelle Fähigkeit gedacht werden kann – bzw. in diesem Fall der Fokus zu kurz greifen würde. Selbstverständlich setzt Resilienz auch individuelle Kompetenzen voraus, sie braucht aber auch soziale/gesellschaftliche Rahmenbedingungen, um wirksam zu werden.
Gleiches gilt umgekehrt, die skizzierten gesellschaftlichen Herausforderungen (insbesondere antidemokratische Beeinflussung) machen die Notwendigkeit einer widerstandsfähigen Demokratie sichtbar, die wiederum individuell von den Bürger:innen realisiert wird. Mit dieser Vorstellung im Hinterkopf sollen als Handlungsperspektive ausgewählte Projektansätze vorgestellt werden, die solch eine Verschränkung von individuellen Kompetenzen und gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit
verfolgen und übernommen oder variiert werden können.
Inspirationen für die pädagogische Arbeit
Die nachstehend vorgestellten Projekte wurden am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis entwickelt. Jeweils stehen ausführliche Dokumentationen, Methodenbeschreibungen und Ablaufpläne online zur Verfügung, die dazu einladen, die Ansätze im eigenen Arbeitskontext zu adaptieren.
TruthTellers …trust me, if you can?! – Ein skeptisches Projekt über die Kraft des Erzählens
Im Projekt TruthTellers wurden aufeinander abgestimmte Moduleinheiten für die Auseinandersetzung mit den Themen Wahrheit, Erzählungen und Ideologien entwickelt, um so für Verschwörungserzählungen und Fake News zu sensibilisieren. Die Teilnehmenden lernen, welche bedeutende Rolle Erzählungen, Glaube und Gefühle spielen, um Menschen für das eigene Weltbild, „die eigene Wahrheit“, zu überzeugen. Dabei bedienen sich die Teilnehmenden selbst, unterstützt durch den Einsatz digitaler Tools, verschiedener Formen des Storytellings, um die Bedeutung von Narrativen und die Kraft des Erzählens selbstwirksam zu erfahren.
Eine Besonderheit der methodischen Gestaltung ist, dass diese flexibel anpassbar ist. Von einer Projektwoche, über einen Aktionstag bis hin zu Mikromethoden, die auch in offenen Settings der Bildungsarbeit eingesetzt werden können, findet sich jeweils hilfreiche Anregungen. Gefördert wurde das Projekt von der Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb).
Isso! Stärkung der Resilienz von Jugendlichen gegen Desinformation im Netz
Beim Projekt Isso! findet sich Resilienz direkt im Titel des Projektes. Gefördert werden soll hier die Nachrichten- und Informationskompetenz der Teilnehmenden – abermals durch niedrigschwellige Methoden, die gerade in Settings der außerschulischen Jugendbildung eingesetzt werden können. Neben den Methoden werden aber auch verschiedene Informationsangebote für pädagogische Fachkräfte bereitgestellt, die hilfreiche Hintergrundinformationen enthalten. So finden sich zu verschiedenen Online-Plattformen wie Telegram, TikTok, Discord oder Insta, aber auch zu Technologien wie ChatGPT, Dossiers, in denen dargestellt wird, wie jeweils Desinformationen Verbreitung finden. Gefördert wurde das Projekt von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Was wäre, wenn?! Demokratiebewusstsein und Engagement unterstützen
Schließlich soll noch auf ein Projekt hingewiesen werden, das eine Dimension anspricht, die m.E. notwendig in die Diskussion um Resilienz einbezogen werden muss: Die Stärkung von Demokratiebewusstsein und Engagement. Das Projekt wurde ausgehend von der Diagnose entwickelt, dass sich gesellschaftliche Konflikte nicht mehr ablösen, sondern gleichzeitig stattfinden und insbesondere auf Social Media Kanälen verhandelt werden. Dabei geht es um die Klimakrise, (noch immer) die Corona-Pandemie, den Angriffskrieg auf die Ukraine etc.
Daraus resultiert ein oft von Spannungen und Konflikten geprägter öffentlicher Diskurs, ein Wettstreit der Meinungen. Neben vielfältigen, authentischen und differenzierten Informationen finden sich Polarisierungen, Desinformationen, Verschwörungserzählungen und Hass. Die Situation ist nicht nur unübersichtlich, sondern zumeist überfordernd.
Mit dieser Diagnose sind wir wieder am Ausgangspunkt dieses Beitrags. Die Weiterführung liegt aber in der Perspektive im Projekt, dass Konflikte normal und geradezu konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft sind. Entscheidend ist vielmehr, wie Gesellschaften (und damit wieder letztlich die Bürger:innen) mit diesen Konflikten auch in der digitalen Medienwelt umgehen (können).
Die Situation im Netz ist unübersichtlich und überfordernd
Als Impuls für die weitere Lektüre sei deshalb auf die Expertise aus dem Projekt „Konflikte als Arbeitsbereich von (Medien-)Pädagogik und Entwicklungsaufgabe für junge Menschen. Expertise zur demokratischen Aushandlung von Konflikten in und mit Medien“ (Materna 2024) verwiesen.
Eine psychologische Fassung von Resilienz erweiternd könnte damit als Fazit geschlossen werden: Resilienz mit Blick auf die Medienwelt bedeutet insbesondere auch die Fähigkeit, mit Konflikten konstruktiv und entsprechend demokratischer Grundwerte umgehen zu können.
Dr. Niels Brüggen leitet am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis die Abteilung Forschung. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Medien- und Digitalkompetenz, Kinder- und Jugendmedienschutz, post-digitale Kinder- und Jugendarbeit.
Du hast Interesse am Thema „Resilienz“?
Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 2/25 Resilienz
Titelbild: Jugendliche am mobilen Endgerät. (Foto: Wolfgang Noack)
Literatur
- Hauck-Thum, Uta (2018): Medienkompetenz als Resilienzfaktor. Online verfügbar unter www.researchgate.net/profile/uta-hauck-thum/publication/329375588_medienkompetenz_als_resilienzfaktor/links/5c7c1dae299bf1268d363c0b/medienkompetenz-als-resilienzfaktor.pdf, zuletzt aktualisiert 2018.
- Materna, Georg (2024): Konflikte als Arbeitsbereich von (Medien-)Pädagogik und Entwicklungsaufgabe für junge Menschen. Teil 1: Expertise zur demokratischen Aushandlung von Konflikten in und mit Medien. Im Rahmen des Projekts „Was wäre, wenn?!“. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Online verfügbar unter www.rise-jugendkultur.de/artikel/konflikte-als-arbeitsbereich-von-medien-paedagogik-und-entwicklungsaufgabe-fuer-junge-menschen/.
- Wustmann, Corina; Fthenakis, Wassilios Emmanuel (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. 1. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz (Beiträge zur Bildungsqualität).
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