Wer „Glück“ in der Schule hat, lernt wirklich was fürs Leben
Julia Kimmel

Wer „Glück“ in der Schule hat, lernt wirklich was fürs Leben

Wer „Glück“ in der Schule hat, lernt wirklich was fürs Leben

Psychologisches Wohlbefinden als Lernziel des Schulfaches Glück

Dass ausgerechnet ein Schulfach mir einmal die Antwort auf die Frage, wie man glücklich leben kann, bieten würde, hätte ich nicht gedacht. Seien wir doch mal ehrlich: Wenn es darum geht, was wir als Kind für unser Leben gelernt haben, dann sind es doch eher die Höhen und Tiefen in Freundschaften, die Gruppendynamik der Klasse oder Vereinsgruppe, die Herausforderung eines Schulwechsels, die prägend waren. Schule bietet uns zwar viele Möglichkeiten, uns und unser Können zu entdecken, aber selten reflektierend auf unser Selbst. In der Schule geht es um Wissen und Testen, Auswendiglernen und Durchhalten. Auch das ist wichtig, aber es endet bei Vielen mit schlechten Ergebnissen für das Selbstvertrauen. Für die eigene Persönlichkeit, um zu erkennen, wer man ist und wer man werden möchte, sind Algebra und französische Grammatik eben selten entscheidend. Das Schulfach Glück bietet vielfältige Methoden für die Persönlichkeitsentwicklung, die ich selbst in der Weiterbildung erleben durfte.

Doch wieso das Wort „Glück“, das in jedem Ratgeber gegen Alltagsstress auftaucht? Und wieso ausgerechnet in der Schule? Das Lernziel des Schulfachs Glück lautet „Wohlbefinden“. Damit sind alle stabilisierenden Faktoren gemeint, die psychologisches Wohlbefinden fördern. Viele werden sofort die Meditation am Abend, Achtsamkeits- und Körperübungen im Sinn haben. Techniken, die ihre Berechtigung haben, aber eben immer nur eines von vielen Werkzeugen sein können auf der Suche nach dem persönlichen Glück. Die Kinder und Jugendlichen lernen in den sechs Handlungsphasen (Stärken, Visionen, Entscheiden, Planen, Umsetzen und Reflektieren) sich selbst den Weg zu bereiten, der ein stabiles Fundament sein soll. Dazu braucht es die Erforschung der eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte, sowie eine realistische Einschätzung von Stärken und Ressourcen, um jederzeit diese Fragen überprüfen zu können: Will ich das wirklich, was ich da gerade tue? Entspricht das meinen Werten? Es geht um die Verbesserung der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Das Lernziel des Schulfaches „Glück“? Wohlbefinden!

Der Begründer des Schulfaches, Dr. Ernst Fritz-Schubert, wählte den Namen, da bereits die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1959 als „Erklärung der Rechte des Kindes“ ein Recht auf Glück einräumt. Die UN-Kinderrrechtskonvention von 1989 erklärt, dass „das Kind zur vollen harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit (…) umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen soll.“ (UN-Kinderrechtskonvention 1989). Auch beinhalten fast alle Bildungspläne der Schulen nichtakademische, persönlichkeitsstärkende Ziele.

In Zeiten, in denen Krisen alltäglich spürbar sind und auch vor einem überlasteten Bildungssystem nicht Halt machen, ist diese Forderung nach persönlicher Entwicklung und Glück für Kinder wirklich unabdingbar. Der Vorteil: Die Schulpflicht würde garantieren, dass alle Kinder daran teilhaben dürfen. In Zeiten von Lehrkräftemangel und fehlenden Schulsozialarbeiter:innen wäre dies wenigstens eine flächendeckende Garantie dafür, dass Kinder in Praxis und Theorie etwas über psychische Gesundheit und Resilienz lernen. Wenn es genug Glückslehrkräfte und Stunden dafür gäbe…

Und was ist dieses Glück eigentlich?

An meinem Spiegel klebt immer noch das Post-It aus einer Übung aus der Weiterbildung: „…tun zu können, was ich liebe – beruflich und privat“. Das beschreibt das Ziel des Schulfaches Glück für mich sehr gut. In der Weiterbildung fand jeder durch viele didaktisch professionell entwickelte Methoden seinen „Herzenswunsch“. Etwas, das man wirklich will und als nächstes großes Ziel verfolgt, auch wenn es einem zunächst Angst macht. Der „Herzenswunsch“ ist der nächste großen Entwicklungsschritt. Von diesen Entwicklungsschritten gibt es meist mehrere kleinere; welche, die einfacher zu erreichen sind als der große. Wenn ich es schaffe, Aufgaben und Ziele trotz Hürden anzugehen und umzusetzen, erlebe ich mich als kompetent. Steht dies im Einklang mit meinen Bedürfnissen und Werten, macht das glücklich.

Nun könnte man meinen, viele wüssten ja, was sie tun wollen: in dem Job arbeiten, den sie gelernt haben; das Bauprojekt auf dem Land; ihr Ehrenamt, das sie schon seit zehn Jahren innehaben. Doch wenn man einmal in den Prozess der sechs Handlungsphasen des Schulfaches Glück eingestiegen ist, und die Fülle an Wünschen hebt, die da wirklich in einem schlummern, staunt man. Wie oft stehen wir uns doch selbst im Weg, wenn wir nur tun, was wir bereits kennen – aus Unsicherheit oder Bequemlichkeit. 

Es gibt viele gesellschaftliche, ideologische oder psychologische Schranken in unseren Köpfen, die uns daran hindern, Neues zu wagen. Und selbst wenn man sich traut auszusprechen, was man wirklich will, sind da die Hürden in der Umsetzung. In der Handlungsphase „Planen“ beispielsweise begibt man sich auf die „Insel des Grauens“. Dort begegnet man lösungs- und ressourcenorientiert Stolperfallen, Ängsten und inneren Glaubenssätzen, die bei jedem Menschen vorhanden sind und die uns daran hindern, loszugehen. Das kreative Projekt, etwa der Jobwechsel, die Auswanderung oder auch einfach nur der Tangotanzkurs mit wildfremden Menschen, bleibt daher oft in der „Traum-Schublade“. Das Schulfach Glück vermittelt Methoden, um diesen Hürden mit Stärke zu begegnen.

Dass das Schulfach angeboten wird, ist leider keine Selbstverständlichkeit. Viele Lehrkräfte müssen sich ihre Stunden dafür hart erkämpfen. Schulleiter stehen unter Druck, denn die Kernfächer dürfen nicht vernachlässigt werden. In Zeiten, in denen Musik- und Kunstunterricht gekürzt wird, wie letztes Jahr in Bayern, hat man es mit Fächern, die Persönlichkeitsentwicklung fördern, nicht leicht. Mich haben die vielen Gespräche mit Lehrer:innen und die Berichte von Myriam Meier, meiner Lehrtrainerin, und Tobias Rohde, Direktor des Fritz-Schubert-Institutes für Persönlichkeitsentwicklung, sehr hoffnungsvoll gestimmt. Sie alle brennen für ein Neu-Denken von Bildung und Schule. Sie möchten nicht nur Wissen vermitteln, sondern die Kinder mit all ihren Stärken sehen, ihre Nöte besser verstehen und drauf hinwirken, dass alle Kinder begeistert zur Schule gehen.

Der „Herzenswunsch“ ist der nächste große Entwicklungsschritt

Dr. Fritz-Schubert fordert sogar noch mehr und schreibt: „(…)unser Schulsystem kann mehr als nur zu belehren, zu bewerten und zu bestimmen. Für diesen Transformationsprozess braucht es aber keine Einzelkämpfer, die als Helden die Schule revolutionieren, sondern Schulleitungsteams, die die Weisheit der Vielen erkennen und orchestrieren. Jede Schule verfügt durch die geballten Erfahrungen des Kollegiums über einen großen Schatz an didaktischer Kompetenz, Kreativität, Engagement, Begeisterung und Wissen, der nur darauf wartet entdeckt und entfaltet zu werden“.1 Denn auch das bringt das Schulfach Glück: Es hilft, eine neue Haltung zu entwickeln und hilft dem Schulkollegium dabei, gemeinsam über Werte und Ziele zu sprechen – ohne einfach nur auf einen Lehrplan zu starren.

Das Tetraeder-Modell wurde entwickelt um alle Fragen, Handlungsphasen und grundlegenden Konzepte und Theorien aus Pädagogik und Psychologie miteinander zu verknüpfen. Die grundlegende Frage im Mittelpunkt ist: „Was brauche ich?“ Denn nur, wenn wir wissen, welche Bedürfnisse wir haben, können wir danach handeln. Wie viele Erwachsene gibt es heute, die in Rollen und Lebensentwürfen feststecken, weil es schon immer so war, und nicht spüren können, was sie tatsächlich brauchen? Schon Kindern dies beizubringen ist meiner Meinung nach einer der Grundsteine für ein friedliches Miteinander in Schule, Beruf und Gesellschaft. 

Laut Myriam Meier sind die Phasen, die die Arbeit mit Stärken und Gefühlen beinhalten, die umfangreichsten für die jüngeren Kinder. Sie unterrichtet an einer Grundschule und bildet in ihrem Institut „GlücksSchritte“ Lehrer:innen, aber auch Coaches und Sozialarbeiter:innen, für das Schulfach Glück aus. Viele Methoden, die das Schulfach wählt, sind auch in der Kinder- und Jugendarbeit, wie ich sie kenne, wiederzufinden. Da der Mensch in seinem Handeln immer in einem sozialen Kontakt ist, spielen auch gruppendynamische Prozesse eine große Rolle. Elemente aus der Spiel-, Theater- und Erlebnispädagogik eignen sich daher sehr gut, die Inhalte zu den Themen Kompetenz, Kohärenz, Selbstregulation und Motivation in den Unterricht einzubringen.

Als Diakonin und Sozialpädagogin war es für mich sehr wertvoll zu hören, dass die grundlegende Haltung Kindern gegenüber, so wie wir sie in der Verbandsjugendarbeit leben, so auch in der Schule ankommt. Sie ist Grundlage für Glückslehrer:innen:

  • Glückslehrer:innen sind Raumöffner:innen – es steht nicht der Lehrplan im Mittelpunkt, sondern das Geschehen in der Klasse und der innere Prozess eines jeden Kindes.
  • Glückslehrer:innen sind Schatzsucher:innen – wenn ich nicht weiß, wer ich bin, kann ich nicht wissen, wer ich werden möchte. Die Lehrer:innen fördern und fordern ihre Schüler:innen, indem sie Möglichkeiten bieten, sich selbst mit den eigenen Stärken und Schwächen, den eigenen Bedürfnissen und Wünschen kennenzulernen. Gleichzeitig merken diese: Es geht ja nicht nur mir so. Mein Mitschüler, der immer so taff tut, hat auch Ängste. Meine Mitschülerin, die immer nur still dasitzt, hat richtig verrückte Hobbys. Echte Kommunikation wird möglich.
  • Glückslehrer:innen sind Gestalter:innen und prozess-orientiert. Weg von der Zielorientierung eines Lehrplans werden sie zu Menschen, die den Unterricht individuell auf ihre Schüler:innen zuschneiden können.

Nicht selten berichten Lehrer:innen, dass Schüler:innen trotz Schwierigkeiten bei Motivation, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl aufblühen; sie lernen, über ihren Schatten zu springen und schaffen es, sich zu öffnen und Dinge zu bearbeiten, von denen die Lehrer:innen ohne Glücksunterricht niemals erfahren hätten. Und auch beim Umgang mit schwierigem Verhalten in der Klasse kommt die Haltung zum Tragen: „You don’t know the story“. Gezeigtes Verhalten wird schnell bewertet, ohne die Hintergründe zu kennen, das ist menschlich. Die Offenheit, dass man Beweggründe verstehen und gemeinsam mit dem Kind danach suchen möchte, ist essentiell in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Kinder spielen im Wald

Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 erklärt, dass „das Kind zur vollen harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit (…) umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen soll“.

Ich hatte in der Weiterbildung den Eindruck, dass viele Lehrer:innen jahrelang nach Methoden und Ansichten gesucht haben, die das konventionelle Schulsystem nicht vorsieht. Zwar kostete es in der Weiterbildung einiges an Überwindung und Durchhaltekraft, all diese Persönlichkeitsprozesse zu durchlaufen, aber es lohnte sich. Lehrer:innen entdecken sich dabei oft neu, finden Gleichgesinnte, die mehr tun wollen für ihre Schüler:innen und finden (wieder) neue Gründe und Motive, ihren Beruf ausüben zu wollen. Und mit dieser Haltung wirken sie auch im Kollegium ihrer Schule. Außerdem wirkt sich diese Persönlichkeitsarbeit positiv auf die Beziehung zu den Kindern aus. Laut einer Studie zu der Frage, wie Schüler:innen am besten unterrichtet werden können, liegen „(…) individuelles Feedback (Effektstärke 0,73) und ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schülerin oder Schüler (0,72) ganz oben in der Rangliste der wichtigsten Erfolgsfaktoren für guten Unterricht“.2 So viel Positives wird durch das Schulfach Glück möglich!

„Diese freie, nie exakt vorgeschriebene, aber methodisch strukturierte und transformationale Herangehensweise hat deshalb nicht nur im Schulbereich, sondern auch bei der Arbeit mit Menschen in allen Kontexten zu großen Erfolgen geführt,“ schreibt Dr. Fritz-Schubert.3

Auch Erwachsene sollten nach ihrem Glück suchen – das macht resilient

Diese motivierende Erkenntnis war bereits nach den ersten Modulen der Weiterbildung zu spüren und fördert meine Motivation, diese Methoden auch außerhalb der Schule in anderen Kontexten anzuwenden.

Zum Beispiel hat mich in den letzten Jahren die Frage stark beschäftigt, was Kinder von ihren Eltern brauchen, um glücklich zu werden. Auch hier hatte das Schulfach Glück eine Antwort für mich. Historisch gesehen hatten Eltern noch nie so einen psychischen Workload und so einen großen gesellschaftlichen und persönlichen Druck, alles richtig zu machen, wie heute. Kinder brauchen keine Eltern, die Wissen in sich anhäufen, wie das Kind zu erziehen sei; sie brauchen auch keine Eltern, die alles, was gesellschaftlich erwartet wird, erstreben, mit immer noch mehr Arbeit, Schuldgefühlen und Leistungsdruck. Kinder brauchen ihre Eltern als heile Menschen, als stabile, glückliche Eltern, die auch wirklich ganz Mensch sein dürfen, die ihre Bedürfnisse kennen und sich selbst und anderen Menschen positiv begegnen können. 

Und so ist es auch für die Erwachsenen unabdingbar, nach ihrem Glück zu suchen: sich selbst zu reflektieren, Ressourcen zu aktivieren und Zeit zu finden für Dinge, die wirklich nachhaltig glücklich und zufrieden machen. Das ist der Weg, der zu Resilienz führt und der letztendlich dann auch den Kindern und unserer Gesellschaft im Ganzen in schwierigen Zeiten hilft. Ich hoffe, dass ich in Zukunft mit Workshops und Coachings genau dazu beitragen kann; Reisebegleiterin sein kann für diejenigen, die auf der Suche sind nach sich selbst. Und den Traum, dass „Glück“ irgendwann selbstverständlich im Lehrplan neben Mathe und Englisch steht, gebe ich wie alle anderen Glückslehrer:innen auch nicht auf. 

Information zur Entstehung des Schulfaches Glück

Dr. Ernst Fritz-Schubert hat 2007 als Schulleiter in Heidelberg erstmals das Schulfach Glück eingeführt. Viele engagierte Lehrkräfte und Experten:innen aus außerschulischen Bereichen, die eine Vision von einem neuen Schulfach hatten, waren damals beteiligt. Grundlage bildet die Positive Psychologie, aber auch andere Theorien und Modelle aus Psychologie und Pädagogik. Seit 2011 können Lehrkräfte die Weiterbildung am Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg oder bei anderen, vom Institut zertifizierten Lehrtrainer:innen machen. Glücksunterricht gibt es an über 200 Schulen als reguläres Fach, als Wahlfach oder als Arbeitsgemeinschaft. Da der Unterricht von der Grund- bis zur Berufsschule möglich ist, werden die Weiterbildungsinhalte adaptiert. Die vier Grundfragen, denen die Schüler:innen begegnen, lauten: 

  • Wer bin ich? (Konsistenz)
  • Was brauche ich? (Bedürfnisse)
  • Was will ich? (Kohärenz)
  • Was kann ich? (Kompetenz)

Ziel ist es, dass Schüler:innen wirksame Gestalter ihres Lebens werden, um körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen. Auf dieser Seite finden Sie weitere Informationen, Literaturhinweise und eine Auflistung aller Schulen in Deutschland, die das Schulfach Glück anbieten: www.fritz-schubert-institut.de/

Diakonin Julia Kimmel führt als Sozialpädagogin und Lehrberechtigte für das Schulfach Glück Workshops zur Resilienzstärkung bei sozialen Trägern durch.

Du hast Interesse am Thema „Resilienz“?
Du findest weitere Artikel dazu in der Ausgabe 2/25 Resilienz

Titelbild: Glück findet man auch an ungewöhnlichen Orten (alle Fotos: Arnica Mühlendyck)

Literatur

  • 1&3 SchulVerwaltung – Zeitschrift für Schulentwicklung, Nr. 4.2022
  • 2deutsches-schulportal.de/bildungswesen/bildungsstudien-das-lehrer-schueler-verhaeltnis-als-erfolgsfaktor/

Share On

Rückmeldungen

Schreibe einen Kommentar